Sonntag, 6. Oktober 2019

Werke von 'Mädchen' der Nara-Zeit

picture: Katsuhika Hokusai
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Im
Manyōshū, eine der ältesten Anthologien Japans, lassen sich auch die ältesten Aufzeichnungen über Kurtisanen finden, zurückreichend bis in die Nara-Zeit (Altertum/Vorzeit).

Darin gibt es jedoch auch viele Lieder und Gedichte von Frauen, die nicht ausdrücklich als Kurtisanen bezeichnet wurden. Sie sind oft nur als "Gedicht eines Mädchens" bezeichnet. Manchmal lässt sich jedoch vermuten, dass es Kurtisanen gewesen sein mussten und keine gewöhnliche Mädchen.

Michael Stein fasst in seinem Buch "Kurtisanen" folgende Kriterien als typisch für Kurtisanen der Nara-Zeit zusammen:

- Sie treten hauptsächlich in den Provinzbehörden und dort im Gefolge der dort tätigen Beamten aus der Hauptstadt auf
- Sie nehmen an geselligen Abenden, Festen oder Ausflügen teil. Häufig als einzige Frauen unter vielen männlichen Beamten
- Sie leisten einen künstlerischen Beitrag in Form von Unterhaltung der Gäste, z.B. auch am Austausch von Liedern
- Ihre Lieder, meist direkt an ihre Partner gerichtet, beklagen dessen Abschied oder deuten ihren Wunsch an, ihn wiederzusehen

Wenn man davon ausgeht, dass Kurtisanen nicht nur in der Provinz
Etchū tätig waren, sondern vielleicht auch in anderen Provinzbehörden, lassen sich auch andere im Manyōshū erwähnte "Mädchen" wohl dem Kurtisanentum zuordnen. Einige Begebenheiten und Lieder solcher Mädchen aus der Narazeit, die nicht ausdrücklich als Kurtisanen bezeichnet wurden, möchte ich in diesem Eintrag auflisten.

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Begebenheit: Großwürdenträger Fujiwara no Umakai beendete seine Amtszeit und kehrte in die Hauptstadt zurück. Ein "Mädchen aus Hitachi" widmete ihm folgendes Lied:

"Das Azuma-Mädchen, das
Den Hanf, der im Garten wächst,
Schneidet, trocknet,
Und das Linnen bleicht,
Geruht, es nicht zu vergessen!"


(aus: Kurtisanen. Von Michael Stein, S. 53)

Hintergrund: Umakai war einer der klügsten Köpfe seinerseits und 719-724 Gouverneur der Provinz Hitachi. Es wird davon ausgegangen, dass das Lied nicht allzu wörtlich aufzufassen sei. Es wird sich also weniger um ein Bauernmädchen, als vielmehr um eine Kurtisane gehandelt haben. Sie wird sich und ihre Künste bewusst heruntergespielt haben. Umakai soll vielleicht durch die Bezeichnung "Azuma-Mädchen" stärker gerührt worden sein als durch den blanken Namen einer Kurtisane. Das Bauernvolk galt beim Hofadel zwar als ungehobelt, gleichzeitig galten die Provinzen östlich des Fuji (Berges) aber auch als exotisch und reizvoll.


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Begebenheit: Die Amtszeit des Großwürdenträgers Ishikawa endete und er musste in die Hauptstadt zurückkehren. "Ein Mädchen aus Harima" widmete ihm zwei Lieder:


"Im Frühling, wenn hoch am Gipfel
Des Berges Tayuraki
Die Kirschen wieder erblühn,
Dann werde ich wohl, mein Gebieter,
Nach Euch mich in Sehnsucht verzehren.

Wenn Ihr nicht länger hier seid,
Wozu soll ich mich schön machen?
Sogar mein Kämmchen aus Buchsbaumholz,
Das in der Kammschachtel liegt,
Mag nimmer zur Hand nehmen!"



(aus: Kurtisanen. Michael Stein, S. 54)

Hintergrund: Es wird vermutet, dass es sich bei "Großwürdenträger Ishikawa" um Ishikawa no Kimoko gehandelt hat, der 715-720 Gouverneur der Provinz Harima war. Das 'Mädchen', von dem die Lieder stammen, pflegte sich sorgsam zu schminken und zu frisieren, wie es für Kurtisanen üblich war. Zumal scheint sie eine sprachlich / dichterisch begabte Künstlerin gewesen zu sein, da sie im Original (hier in der Übersetzung nicht zu erkennen) in das Lied ein Wortspiel und damit eine Andeutung auf Ishikawa einflocht.

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Begebenheit: Die Amtszeit des Muraji Fujii war abgelaufen und er kehrte in die Hauptstadt zurück. "Ein Mädchen" widmete ihm ein Lied:

"Ab morgen werde ich wohl
An Liebessehnen leiden,
Wenn Ihr von dannen zieht,
Die felsigen Pfade des Berges
Nahoriyama beschreitend."


(aus: Kurtisanen. Michael Stein, S. 55)

Hintergrund:  Der Name des "Muraji Fujii" ist unvollständig wiedergegeben, die Provinz aus der er zurück zum Hof kehrt ist unbekannt; deshalb sind weder Zeit noch Ort des Geschehens bekannt. Es wird aber vermutet, dass es sich auch bei ihm um einen Gouverneur oder Beamten handelte und "das Mädchen" eine örtliche Kurtisane war.

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Begebenheit: eine Gesandtschaft, auf dem Weg von Nara nach Silla (Korea), wird anhand unterwegs verfasster Lieder geschildert. Die Route führt auf dem Landweg zum Hafen von Naniwa, mit dem Schiff bis nach Hakata. Dort gab es einen Empfang im Gästehaus des Dazaifu, bevor sie weitersegelten. Auf diesem Abend wurden Lieder ausgetauscht. Darunter auch zwei Lieder von "einem Mädchen aus Tsushima, dessen Name Tamatsuki lautet":

"Gelockt von des Schiffes Pracht,
Das hergerudert kam,
Eilte ich herbei
Von Bergesgründen her,
Wo Herbstlaub niederwirbelt.


Schmiegsames Seegras durchteilend
Im Hafen von Takashiki,
Rudert Ihrbald von dannen.
Immerdar werd' ich, Gebieter,
Der Rückkehr des Schiffes harren!"
(Aus: Kurtisanen. Michael Stein, S. 56)


Hintergrund: Das Mädchen Tamatsuki, die im Hafenort Takashiki, dem Sitz des Gouverneurs von Tsushima war, war vermutlich ebenfalls eine Kurtisane, die die Provinzbeamten und ihre Gäste aus der Hauptstadt betreute.

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